„Traut Euch in die Parlamente!“
Interview mit der Wilthener Stadträtin Lydia Meißner anlässlich des Internationalen Frauenkampftages
Liebe Lydia, Du bist bei der Kommunalwahl 2024 in den Wilthener Stadtrat als einzige Linke eingezogen, damals noch als parteilose Kandidatin auf unserer Liste. Mittlerweile bist Du auch Mitglied in unserer Partei. Erzähl uns doch kurz was zu Dir, damit Dich noch ein paar mehr Menschen kennen lernen.
Ich bin 41 Jahre alt und stamme aus Bischofswerda. Seit 2010 wohne ich mit meiner Familie in Wilthen und fühle mich sehr wohl. Hier habe ich Freunde, meinen Sportverein und singe im Kirchenchor. Seit mehreren Jahren engagiere ich mich politisch, z. B. für sichere Schulwege oder als Ansprechperson einer Bürgerinitiative gegen den Bau eines Solarparks im Landschaftsschutzgebiet. Da war der Schritt zur Kandidatur naheliegend.
Was hat Dich motiviert, Dich in deiner Kommune für ein Mandat zu bewerben?
Zum einen ist da der Wunsch, Dinge um mich herum besser zu machen, anstatt zu meckern. Und ich möchte den Menschen eine Stimme zu geben, die sich ein Mandat selbst nicht zutrauen. Auch der Männerüberschuss in unseren kommunalen Räten hat mich motiviert. Denn ich bin überzeugt, dass wir bessere Entscheidungen treffen, wenn sich möglichst viele verschiedene Menschen einbringen können. Ich wünsche mir deshalb, dass noch mehr junge Frauen den Mut finden, für ein Mandat zu kandidieren.
Jetzt nach ein paar Monaten wollen wir gern wissen, wie Du bislang auf die Arbeit als Stadträtin schaust? Was hat dich positiv überrascht, was stört Dich bislang?
Mich hat überrascht, dass meine bisherigen Anträge die breite Unterstützung anderer Fraktionen fanden. Dass ich also mit meinen Argumenten fraktionsübergreifend überzeuge, darauf bin ich echt stolz. Auch den guten Austausch in der Sache schätze ich sehr.
Mich wundert, dass die Stadtratsarbeit generell recht wenig wahrgenommen wird in der Stadt. Man sieht das beispielsweise an der geringen Besucherzahl bei den öffentlichen Sitzungen. Gerade hier könnte ein offener Dialog über die drängenden Themen in der Stadtgesellschaft angestoßen werden. Aus persönlichen Gesprächen weiß ich, dass das politische Interesse in der Stadt durchaus vorhanden ist. Ich möchte mich noch stärker dafür einsetzen, dass der Stadtrat für die Einwohner unserer Stadt transparenter und als Stelle angesehen wird, wo man seine Ideen aber auch Sorgen ansprechen kann.
Gibt es eine konkrete Sache, bei der Du sagst „Das konnte ich für die Wilthener*innen schon erreichen“?
In Wilthen haben Stadträte seit vielen Jahren freien Eintritt ins Stadtbad. Das wusste ich bisher nicht. Da es sich bislang nur auf die Stadträt*innen beschränkte, fand ich es ungerecht und unsolidarisch. Zumal sich damit Stadträt*innen selbst einen freien Eintritt in die Gebührenordnung für unser Stadtbad schreiben. Wenn der Einsatz fürs Gemeinwohl in Wilthen gewürdigt werden soll, dann doch bitte in gleicher Weise für alle langjährig ehrenamtlich Tätigen. Es darf keinen Unterschied machen, wie man sich in Wilthen ehrenamtlich engagiert – ob im Stadtrat, in Kirchgemeinden oder im Sportverein. Jeder dauerhafte Beitrag zum Miteinander ist wertvoll und sollte gleichermaßen anerkannt werden. So konnte es auf jeden Fall nicht bleiben. Deshalb habe ich eine Änderung beantragt und diese wurde auch vom Stadtrat einstimmig beschlossen. Somit erhalten Inhaber der Ehrenamtskarte ab diesem Jahr 50 % Rabatt auf alle Eintrittspreise (inkl. Jahreskarten) im Stadtbad Wilthen. Das war auf jeden Fall ein schönes Gefühl, ganz konkret eine Verbesserung für eine große Gruppe der Wilthener*innen zu schaffen.
Die Kommunalpolitik, insbesondere bei uns hier in Ostsachsen, ist weiterhin männlich dominiert. Du erlebst das im Stadtrat. Auch wenn Du Dich dazu entschieden hast zu kandidieren, was denkst Du, warum es weiterhin viel weniger Frauen in den kommunalen Parlamenten gibt?
Auch mir ist es mit meiner Kandidatur und Wahl gerade einmal gelungen, den Frauenanteil im Wilthener Stadtrat stabil bei 3 von 18 Mitgliedern zu halten. Das hat aus meiner Sicht drei Gründe:
Zum Einen wird Frauen ein solches Mandat immer noch zu wenig zugetraut. Soll heißen: Man(n) muss die Frauen, die sich ein Mandat zutrauen und kandidieren, schon auch wählen. Das betrifft gleichermaßen Männer, denen die Meinung der Frauen in unseren Gemeinden nicht egal sein sollte. Wenn auch mehr Frauen Frauen wählen würden, wären wir schon einen großen Schritt weiter in Richtung Parität.
Zweitens trauen sich noch zu wenige Frauen das Mandat selbst zu, was vermutlich auch an den familienunfreundlichen Bedingungen der Gremienarbeit liegt. Hier braucht es aus meiner Sicht einen grundlegenden Dialog und ein Umdenken in den Gremien und Rathäusern.
Ganz Wesentlich aber ist: Frauen werden von den Parteien und Wählervereinigungen nicht paritätisch auf die Listen gesetzt. Es ist erwiesen: Je weiter unten auf dem Wahlzettel eine Kandidatin steht, umso schlechter sind ihre Chancen. Frauen gehören auf den Listen nach ganz oben. Das ist Aufgabe der Parteien und Wählervereinigungen, wenn sie Frauen gleichberechtigt präsentiert wissen wollen.
Was müsste sich bis zur nächsten Kommunalwahl 2029 auf jeden Fall ändern, damit der Frauenanteil steigt – was wäre die wichtigste Sache?
Mehr Mut!
Mut zur Parität auf Seiten der Parteien.
Mehr Mut bei den Frauen. Traut Euch in die Parlamente! Ihr seid eine Bereicherung für jeden Rat und jede Diskussion, sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf die Debattenkultur. In dem Zusammenhang wünsche ich mir mehr aktiven Support von anderen Mandatsträgerinnen. Da gibt es schon gute Angebote und Netzwerke, auch im Landkreis Bautzen. Generell können wir noch mehr junge Menschen (nicht nur Frauen) für Politik begeistern. Da sind wir in unserer Partei auf einem guten Weg.
Abschließend: Am 08. März begehen wir den Internationalen Frauenkampftag. Was bedeutet dieser Tag für Dich und wie verbringst Du ihn?
Der Internationale Frauentag hat eine über 100-jährige Tradition. Hervorgegangen aus dem Kampf der Frauen um Gleichberechtigung, Emanzipation und Wahlrecht steht er heute aktueller denn je für eine gesellschaftliche Debatte. Es ist bedauerlich, dass wir 100 Jahre später immer noch einen Tag brauchen, um auf die besonderen Verdienste der Frauen als Politikerinnen, Erwerbstätige und Sorgearbeiterinnen aufmerksam zu machen. Und doch braucht es diese Sichtbarkeit in Anbetracht der starken antifeministischen Strömungen weltweit. Sowohl politisch als auch in der Medizin oder der Arbeitswelt sind wir leider weit von einer starken Repräsentanz der Frauen entfernt.
Anerkennung und Wertschätzung der Frauen sollten selbstverständlich und an der Tagesordnung sein. Bis wir das erreicht haben, wünsche ich mir, dass wir dem guten Beispiel von Berlin und Mecklenburg-Vorpommern folgen und den 8. März als Feiertag begehen. Daran wird sich messen lassen, wie ernst es uns mit der Gleichberechtigung und der Bedeutung der Frauen für die sächsische Gesellschaft ist.
(Das Interview führte Silvio Lang).